Ein Märchen über die Kindheit:
Es war einmal ein kleines Mädchen, das war fantasievoll, zart und schüchtern. Es konnte gut mit Tieren und Pflanzen sprechen, dachte sich zauberhafte Geschichten aus und verbrachte seine Zeit gerne mit anderen Kindern. Wann immer es konnte, streifte es durch den Wald, um neue Wege zu entdecken und magische Plätze zu erforschen.
Seine Eltern waren liebevoll, aber auch sehr beschäftigt. Sie hatten die Magie der Kindheit in all dem Trubel und der Geschäftigkeit der modernen Welt vergessen. So nutzten das Mädchen und seine kleinere Schwester die Zeit, um eigenständig in fantastische Geschichten einzutauchen.
Nach und nach wurde das Mädchen älter. Und schleichend machte sich auch in seinem Geist die Krankheit der Erwachsenen breit. Es hörte auf, mit den Tieren zu sprechen und in den Wald zu seinen Freunden zu gehen.
Es wurde erwachsen. Es wurde realistisch.
Doch trotz allem gab es in ihm eine kleine, leise Stimme, die immer wieder nach ihm rief: „Vergiss mich nicht!“ hörte das erwachsene Mädchen es in stillen Momenten aus seinem Herzen rufen. Eine Sehnsucht überkam es dann und wann, wenn es ausgelassenes Kinderlachen hörte.
Die Welt um das erwachsene Mädchen wurde immer schneller und lauter. Menschen schauten in Bildschirme statt in die Gesichter ihrer Kinder. Alle waren beschäftigt. Zu beschäftigt um stehen zu bleiben, zu atmen und zu lauschen. Die Welt wurde dunkler, bedrohlich und kalt.
Um das erwachsene Mädchen versammelten sich immer wieder Trauben von Kindern. Sie zerrten an ihm, sie wollten etwas von ihm. Doch noch verstand das Mädchen nicht ganz. Sie nahmen es an der Hand, um es mit in ihre Magiewelt zu nehmen. Aber das erwachsene Mädchen hatte diese Welt vergessen. Es hatte den Zugang verloren. „Werdet erwachsen“, sagte es mit traurigen, resignierenden Augen und ging zurück an die Arbeit.
Eines Tages geschah etwas: Ein kleiner Junge klopfte an die Tür des erwachsenen Mädchens. Er hatte blaue, wache Augen, war schüchtern und doch so mutig und lebendig. Der Junge erinnerte das Mädchen an jemanden, den sie vor langer Zeit gekannt hatte.
Der kleine Junge zog bei dem Mädchen ein. Und mit ihm kamen fantastische Zauberwesen, bunte Farbklekse und wilde Ideen. Er stellte das sterile und aufgeräumte Leben des erwachsenen Mädchens völlig auf den Kopf. Langsam begann der Realitätspanzer vom Mädchen abzubröckeln. Gefühle tauchten auf, die es schon seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte.
Sie begann wieder zu spielen, zu träumen, zu wagen.
Nach einer Weile klopfte es wieder an der Tür des erwachsenen Mädchens. Diesmal stand ein kleines Mädchen vor ihr. Sie hatte wilde, struppige Haare und riss mit ihrer Energie das erwachsene Mädchen zu Boden. Der Junge und das kleine Mädchen lachten ausgelassen, und gemeinsam rüttelten sie an dem erwachsenen Mädchen, bis es sich wieder erinnerte.
Es sah diese 2 Menschen vor sich an und erinnerte sich an all die Abenteuer seiner eigenen Kindheit, an all die Ideen, Wünsche und Träume.
Es erinnerte sich an das Mädchen, das es damals war und immer noch ist.
Es erinnerte sich an die Verletzlichkeit und auch die Einsamkeit dieser Zeit.
Es erinnerte sich an den Zauber und die Möglichkeiten dieser Zeit.
Das erwachsene Mädchen warf alles „Müssen“ von sich ab und nahm die 2 Kinder an die Hand, um in den Wald zu gehen. Sie begannen zu spielen und mit den Tieren und Pflanzen zu sprechen. Sie fragten die Tiere um Rat, was die Erde denn nun brauchen würde. Sie halfen den Tieren und machten wieder gut, was so viele Generationen zuvor an Leid verursacht hatten.
Sie machten alle Handlungen mit Freude und im Spiel. In ihrer Umgebung wurden andere kleine und erwachsene Kinder auf ihre Spiele aufmerksam. Sie kamen dazu und halfen mit. Die Spiele breiteten sich so auch auf andere Wälder der Erde aus. Und die Erde atmete auf in dem Moment, als die Kinder wieder Zeit zum Spielen hatten.
Auch die realistischen Erwachsenen konnten dem Zauber des Spiels nicht widerstehen. Einer nach dem anderen warf seine verhexten, schwarzen Kästchen zur Seite und erkannte in sich ein wildes, sanftes, schüchternes und mutiges kleines Kind.
Und so wurde dieser Kreis an kleinen und großen Kindern Tag für Tag größer, um sanft, spielerisch und entschlossen die Erde zu verzaubern.
Wenn auch du eines dieser mutigen Kinder bist, komm näher!
Herzlich willkommen zuhause!